Am 30. Oktober 2025 haben die Niederlande eine vorgezogene Parlamentswahl abgehalten – und das Ergebnis hat das politische Land verändert. Geert Wilders, der rechtspopulistische Anführer der Partij voor de Vrijheid (PVV), hat seine Position als stärkste Kraft verloren. Ein Ergebnis, das viele überrascht hat – denn noch vor Wochen galt sein Sieg als wahrscheinlich. Stattdessen hat die linksliberale D66 mit einem Zuwachs von 17 Sitzen die Wahl klar gewonnen. Der 38-jährige Spitzenkandidat Rob Jetten steht nun vor der schwierigen Aufgabe, eine Regierung zu bilden – und das, ohne Wilders einzuladen. Denn alle anderen großen Parteien haben öffentlich erklärt: Keine Koalition mit der PVV. Das ist kein politischer Streit mehr – das ist eine Verfassungsblockade.
Ein Schock für die Rechten – und eine Wende für die Mitte
Im November 2023 hatte Wilders’ PVV mit 37 Sitzen die Parlamentswahl gewonnen und war damit erstmals stärkste Kraft geworden. Doch am 30. Oktober 2025, nach der Auszählung von 90 Prozent der Stimmen, lag die PVV laut Algemeen Nederlands Persbureau (ANP) deutlich zurück. Die genauen Zahlen standen noch nicht fest, aber die Tendenz war unmissverständlich: Ein Verlust von mindestens zehn Sitzen, vielleicht sogar mehr. Der Rechtspopulist, der 2006 die PVV gegründet hat und seitdem als Symbol für anti-islamische und anti-EU-Rhetorik gilt, stand vor einer Niederlage, die er seit Jahren nicht mehr erlebt hatte. Dagegen feierte D66 einen historischen Erfolg. Die Partei, die 1966 als Bewegung für politische Reformen gegründet wurde und heute rund 35.000 Mitglieder zählt, zog mit 38 Sitzen erstmals als klarer Wahlsieger aus der Abstimmung. Rob Jetten, der bislang als Juniorminister für Klima und Energie bekannt war, wurde plötzlich zum Schlüsselmann der niederländischen Politik. "Er hat die besten Chancen, eine Koalition zu bilden", schrieb Der Spiegel – und das, obwohl er keine rechte Partei an Bord haben will. Hier ist der entscheidende Punkt: Wilders hat zwar noch immer eine starke Wählerschaft, aber niemand will mit ihm regieren. Nicht die konservative VVD, nicht die christdemokratische CDA, nicht die sozialdemokratische PvdA und auch nicht die Grünen GroenLinks. Zusammen bilden diese vier Parteien einen Block, der – trotz unterschiedlicher Ideologien – eine gemeinsame Front gegen die PVV gebildet hat.Warum ist die Regierungsbildung so kompliziert?
Die Niederlande haben ein proportionaleres Wahlsystem als Deutschland. Das bedeutet: Selbst wenn eine Partei die meisten Stimmen bekommt, braucht sie immer Verbündete, um eine Mehrheit zu haben. 76 Sitze sind nötig. Die PVV könnte allein nicht regieren – und nun kann sie auch nicht mehr mit anderen reden. Das führt zu einem paradoxen Zustand: Wilders hat zwar noch eine starke Position, aber er ist politisch isoliert. Die anderen Parteien haben sich auf eine Art "Koalitionsverbot" geeinigt – eine ungeschriebene Regel, die in der niederländischen Politik bislang nicht so strikt war. "Viele Wählerinnen und Wähler waren noch unentschlossen und haben sich spontan entschieden", sagte Dr. Wilp, Politologe an der Universität Münster und Leiter des Center for Netherlands Studies, in einem Interview mit Deutschlandfunk. "Die Themen Asylpolitik und Wohnungsnot haben die Wahl entschieden. Aber letztlich hat die Angst vor Wilders viele zur Stimme für D66 bewegt." D66 hat sich dabei als die Partei positioniert, die zwar liberal, aber nicht radikal ist – und die klare Grenzen zieht. Ihre Wähler:innen sind vor allem junge, städtische, gebildete Bürger:innen, die zwar Klimaschutz wollen, aber keine politische Instabilität.Was treibt die Wähler:innen an?
Die Wahl war kein Referendum über Wilders – sie war ein Protest gegen das Versagen der Regierung. Die Koalition, die Wilders 2023 mitgegründet hatte, war in nur anderthalb Jahren gescheitert. Der Grund: Streit um Asylpolitik. Die PVV wollte deutlich härtere Regeln, die anderen Parteien nicht. Im Juni 2025 zog Wilders seine Minister aus der Regierung zurück – und löste damit die vorgezogene Wahl aus. Die Wohnungsnot ist ein weiterer Brandherd. In Amsterdam, Rotterdam und Utrecht warten Menschen jahrelang auf eine Wohnung. Die Preise sind explodiert. Und die Regierung hat nichts getan. D66 hat versprochen, 100.000 neue Wohnungen pro Jahr zu bauen – ein ehrgeiziges Ziel, aber immerhin ein konkretes. Wilders hingegen bot vor allem Abschottung: weniger Einwanderung, mehr Kontrolle, weniger EU. Aber er hatte kein Konzept für die Wohnungsnot. Und das hat ihn teuer bezahlt.Was kommt als Nächstes?
Die endgültigen Ergebnisse werden innerhalb von 24 Stunden nach Schließung der Wahllokale vom ANP veröffentlicht. Danach beginnt das wahre Spiel: die Koalitionsverhandlungen. Jetten könnte versuchen, eine sogenannte "große Koalition" mit CDA, VVD und PvdA zu bilden – das wäre eine Regierung mit 85 Sitzen. Aber das wäre ein schweres Unterfangen: Die VVD und CDA sind konservativ, die PvdA links. D66 müsste als Vermittler agieren – und das ist eine enorme Belastung. Alternativ könnte eine Minderheitsregierung entstehen, die auf Stimmen von GroenLinks oder anderen kleineren Parteien angewiesen ist. Das wäre instabil – aber möglich. Dr. Wilp warnt: "Die Regierungsbildung wird kompliziert. Und sie wird lange dauern. Wochen. Vielleicht Monate."Die lange Schatten der PVV
Trotz der Niederlage bleibt die PVV eine politische Kraft. Mit 25 bis 28 Sitzen ist sie immer noch die zweitgrößte Partei. Und sie hat jetzt einen neuen Narrativ: "Wir sind die einzige Partei, die die Wähler:innen wirklich versteht. Die anderen ignorieren uns – und ignorieren damit die Wut der Menschen." Diese Rhetorik wird in den kommenden Monaten weiter wirken. Die PVV wird die neue Regierung von außen unter Druck setzen – mit Protesten, Medienkampagnen, sogar mit Drohungen, die Regierung zu stürzen. Die Niederlande stehen also vor einer neuen Phase: Nicht mehr der Populist als Regierungschef – sondern der Populist als ständige Bedrohung. Und das macht die Politik noch unberechenbarer.Frequently Asked Questions
Warum hat D66 so stark gewonnen, obwohl sie keine radikalen Versprechen gemacht hat?
D66 hat nicht mit Extremismus gewonnen, sondern mit Glaubwürdigkeit. Während andere Parteien sich auf Anti-Wilders-Rhetorik verlassen haben, hat D66 konkrete Lösungen für Wohnungsnot und Klimapolitik vorgestellt. Die Wähler:innen, besonders in den Städten, wollten keine weiteren Krisen – sie wollten Handlungsfähigkeit. D66 hat das als die einzige Partei verkörpert, die nicht polarisiert, sondern vermittelt.
Wie kann Wilders weiterhin Einfluss haben, wenn er nicht regiert?
Wilders bleibt ein Medienphänomen. Mit 25+ Sitzen kann er Gesetzesentwürfe blockieren, Anfragen stellen und Proteste organisieren. Er hat bereits angekündigt, jede Regierung, die nicht seine Asylpolitik übernimmt, zu stürzen. Seine Partei wird als permanente Opposition agieren – und so den politischen Raum nach rechts verschieben, selbst wenn sie nicht regiert.
Was bedeutet die Blockade gegen die PVV für die Demokratie in den Niederlanden?
Es ist ein riskantes Spiel. Einerseits schützt es die Demokratie vor autoritären Tendenzen. Andererseits könnte es die Wähler:innen, die Wilders unterstützen, weiter radikalisieren. Wenn politische Teilhabe ausgeschlossen wird, entsteht Verzweiflung – nicht Zustimmung. Die Frage ist: Wie lange hält diese Blockade, wenn die PVV weiterhin 25 Prozent der Stimmen bekommt?
Warum ist die Wohnungsnot so entscheidend für diese Wahl?
In Amsterdam und Utrecht warten durchschnittlich 7,3 Jahre auf eine bezahlbare Wohnung. Die Preise sind seit 2020 um 42 Prozent gestiegen. Die Regierung hat jahrelang versprochen, mehr zu bauen – aber nur 60.000 Wohnungen pro Jahr statt der benötigten 120.000 gebaut. Das hat Vertrauen zerstört. D66 hat das als zentrales Thema aufgegriffen – und die Wähler:innen haben es gehört.